Stefan Volk

Lena

Lena und ihre Familie wissen nicht mehr, aus welchen Gründen ihre Vorfahren nach Russland auswanderten und wo sie sich zuerst niederlieflen; vermutlich jedoch an der mittleren Wolga. Lenas Muttersprache ist Deutsch und so auch ihre Nationalität, welche bis zum Jahr 2000 in ihrem russischen Reisepass vermerkt war. Fünf Jahre wartet die Familie auf die Genehmigung zur Auswanderung, die sie im November 2003 erhalten. Ein knappes halbes Jahr später reisen sie mit dem Zug nach Moskau und mit dem Bus weiter bis ins Grenzdurchgangslager Friedland. Da Lenas Verwandte bereits in Spenge bei Bielefeld leben, haben sie das Recht, in die gleiche Stadt zu gehen. Dort beginnt Lena eine Ausbildung zur Erzieherin.

Lena gehört zu jener Minderheit, deren deutsche Vorfahren zwischen 1763 und 1842 vor allem aus Hessen, Preuflen und Südwestdeutschland nach Russland einwanderten. Angeworben und mit zahlreichen Privilegien vom zaristischen Regime versehen, um die unbewohnten Gegenden des Riesenreiches urbar zu machen. Sie verließen Deutschland vor allem aufgrund des Landmangels und der Verwüstungen im Zuge der napoleonischen Kriege (1792-1815). Das Leben der Russlanddeutschen verschlechterte sich vor allem ab den 1920er Jahren: Wie viele russische Bauern starben sie während der Hungersnöte 1921-1924 sowie Anfang der 1930er Jahre und litten unter den Enteignungen durch das neue kommunistische Regime. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion 1941 ließ Stalin hunderttausende Russlanddeutsche in den asiatischen Teil der Sowjetunion deportieren. Nach dem Bundesvertriebenengesetz von 1953 dürfen sie ebenso wie alle Deutschstämmigen Mittel- und Osteuropas bis heute in Deutschland einwandern. Zwischen 1950 und 2007 kamen knapp 4,4 Millionen von ihnen als Aussiedler und Spätaussiedler in die Bundesrepublik Deutschland. Die Zahlen sind in den letzten Jahren stark gesunken.

Das Grenzdurchgangslager Friedland ist heute die zentrale und einzige Erstaufnahmestelle für (meist russische) Spätaussiedler in Deutschland. Lena Schmidt wurde 1981 in der sibirischen Kleinstadt Slawgorod geboren. Nach der Schule absolvierte sie eine Ausbildung zur Deutschlehrerin und arbeitete im Anschluss als Journalistin für die deutschsprachige Zeitung »Für Dich«. Heute lebt Lena in Paderborn und arbeitet dort als Erzieherin.

Stefan Volk wurde 1971 in Münster geboren und studierte nach einer Fotografenlehre Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld. Heute arbeitet er in Hamburg.