Daniel Fort

24h

Seit jeher ist das Verhältnis des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt von Spannungen geprägt. Traditionell gilt nur diejenige Natur als schön, die den Schrecken der Wildheit verloren hat. Schön kann nur sein, was nützt, was kultiviert ist. Die ursprünglich negative Belegung des Begriffes zeigt, dass die Abneigung gegen die Wildnis tief in uns verwurzelt ist. Bei unseren Vorfahren war die Wildnis der Gegenpart zur Kultur: die ungezähmte, gefährliche und unkontrollierbare Urnatur, das „Unbewohnbare“, die allenfalls nur störend in die vom Menschen geschaffene Kultur, die Ökumene, eingreift. Im Zeitalter der Aufklärung wurde der Begriff zunehmend positiv belegt. Diese Vorstellungen finden ihre Fortsetzung in der auf die amerikanischen Romantiker zurückgehende „Wilderness“ – Bewegung, die die Wildnis als Leitbild des „Freien“ sieht, ähnlich wie im modernen Naturschutzgedanken. Der Historiker Roderick Nash schreibt: „Es gibt Wildnis nicht als eigentliches, materielles Objekt. Der Terminus beschreibt eine Eigenschaft, die in einem bestimmten Individuum eine bestimmte Stimmung oder ein bestimmtes Gefühl erzeugt.“ [ Herwig Decker, Wozu brauchen wir Wildnis?, in: BERGE 2/2000 ] Der Ökologe Wolfgang Scherzinger bezeichnete diesen Widerspruch im Wildnisbegriff als „Spannungsfeld zwischen Ehrfurcht und Furcht, Staunen und Schauern, Begeisterung und Bestürzung, Sehnsucht und Angst, Geborgenheit und Hilflosigkeit“. [ Herwig Decker, Wozu brauchen wir Wildnis?, in: BERGE 2/2000 ] In meiner Arbeit, ist eben auch das Erkunden dieser zwiespältigen Bedeutung und Beziehung des Menschen zur Natur, ein Aspekt. Es ist wichtig die Natur so zu erleben wie sie ist. Dazu gehört auch das Bedrohliche. Ich stelle mich dem Versuch, in einer zunehmend technisierten Welt, die Natur zu fühlen, die Verbindung aufrecht zu erhalten und das Elementare im Menschen zu erforschen. Die hier gezeigte Arbeit basiert auf der Definition von Räumen und dem Aufsuchen von relativ abgelegenen Orten, die vergleichsweise unberührt von menschlichem Einfluss sind. Ich wandere durch diese Naturräume, oder verweile dort an einem Ort, für mindestens 24 Stunden. Dieser natürliche, immer wiederkehrende und für alles Leben verantwortliche Zyklus von Sonnenauf- und Untergang bildet den jeweiligen zeitlichen Rahmen der Teile dieser Arbeit. Der meditative Aufenthalt in diesen Räumen, bzw. an diesen Orten symbolisiert ein Innehalten, ein sich Zeit nehmen in Distanz zur schnelllebigen Gesellschaft. Meine Bilder verstehe ich nicht als reine Landschaftsfotografien. Sie sind fragmenthaft, und ihre Aufgabe liegt in der Andeutung der erlebten Erfahrungen und dem Versuch den Ort und seine Charakteristik einzufangen. Fotografie kann nie den gesamten Verlauf einer Wanderung/Aufenthalts aufzeichnen und vermitteln. Sie funktioniert hier als eine Übersetzung der Wanderung, genauso wie das Gehen an sich, als Übersetzung für einen weiten, allumfassenden Blick auf das gelebte Leben funktioniert.

Daniel Fort studierte bis 2012 Fotografie & Medien an der FH Bielefeld. Seine Diplomarbeit »24h« entstand unter der Betreuung von Prof. Axel Grünewald und Prof. Anna Zika.