Vedad Divović

Across the Interstate 35

Die getrockneten Wasserflecken auf dem braunen Pappkarton der das Schaufenster verdeckt erinnern an alte Landkarten. Karten aus einer Zeit der Expansion. Als der Amerikanische Westen vermeintlich unbeschrieben war, Texas noch zu Mexiko gehörte und die Afroamerikanische Bevölkerung des Südens ihre Freiheit noch nicht erlangt hatte. Im Schaufenster spiegelt sich ein Ford Ranger, noch so ein Symbol der Expansion. Diese Assoziationen nehmen der Szene zwar nicht ihre Verwahrlosung doch geben sie Auskunft darüber was das Thema von Vedad Divović’s Arbeit »Across the Interstate 35« ist. Heute bedeutet Expansion Gentrifizierung, Verdrängung statt Verdichtung also. Was ist passiert in East Austin seid der Zeit der Karten? Kurz: Bürgerkrieg, Jim Crow, Great Migration, rassistische Stadtplanung, White Flight, die Bürgerrechtsbewegung, Stolz und Kränkung, Ghettoisierung, Polizeigewalt. Jetzt steigen die Mieten, der Bauwahn einer IT Metropole wirkt sich aus. Divović portraitiert das alles in Ruhe. Die Protagonisten seiner Bilder gehen erstmal nirgendwo hin, es herrscht Alltag. Die Felge glänzt, der Mantel weht und die Sneaker strahlen weiß. Die Baugruben und Kräne tauchen nur ab und zu auf, der Wandel ist ein schleichender. Die Bilder sind so nah dran wie unaufdringlich, schwanken zwischen Prekariat und Mittelklasse, SUV inklusive. Der Grundton ist melancholisch, doch es werden keine einfachen Schlussfolgerungen zugelassen, die Identität der Nachbarschaft und ihrer Bewohner wird nuanciert dargestellt: Problemviertel und stinknormales Amerika zugleich.

Die Arbeit entstand im Rahmen einer Exkursion nach Austin, Texas im November 2015 unter der Betreuung von Prof. Axel Grünewald. »Across the Interstate 35« war Teil der Ausstellung »Still looking for Bret«. Divović schloss im Wintersemester 2016/17 seinen Bachelor in Fotografie und Medien ab.