Anna Domnick

Honeycombs

Als Halle-Neustadt innerhalb weniger Jahre in den 1960ern konzipiert und genau so schnell aufgebaut wurde, ging es vor allem darum, Wohnraum für die Arbeiter von zwei der größten Energieproduzenten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, Leuna und Buna-Schkopau, zu schaffen. So wurde Halle-Neustadt schnell zum größten Bauunternehmen der DDR und schon Anfang der 1980er lebten mehr als 90.000 Menschen in einer Stadt, die komplett auf sozialistischem Grund errichtet wurde.
Dabei zeichnete sich die Stadt durch eine Infrastruktur aus, die alle Anforderungen in Fußnähe bot, während der Wohnraum knapp aber gleich verteilt war. So gab es wenig Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung, aber große Effizienz auf dem gemeinschaftlichen Level, welche das sozialistische System aufrecht erhalten sollte. Und so wie das System auf dem Funktionieren der Gesellschaft basierte, so basierte Halle-Neustadt auf dem Funktionieren dieses politischen Systems.
Nicht einmal zehn Jahre später, mit dem Fall der Berliner Mauer 1989, wurde Halle-Neustadt mit fundamentalen politischen Veränderungen konfrontiert, welche die Schließung von etwa 80 Prozent des industriellen Sektors der DDR mit sich brachten, wodurch auch Leuna und Buna-Schkopau betroffen waren. Tausende verloren ihre Arbeitsplätze und fingen an, sich anders zu orientieren, da es in Halle-Neustadt nur noch wenig zu tun gab.
Der radikale Einschnitt in den Arbeitsmarkt sowie weitere demografische Veränderungen, die durch den Zerfall des Systems hervorgerufen wurden, wirkten sich stark auf die Bevölkerungszahl aus, die sich bis heute mehr als halbiert hat. Diejenigen, die weiterhin in der Stadt leben, wohnen inzwischen in den sanierten Plattenbauten oder sind in die sich ausweitenden Randgebiete gezogen.
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Stadtteilen, die in der DDR enstanden und heute verlassen sind, hatte Halle-Neustadt immer den Vorteil, seine eigene Infrastruktur zu besitzen, die es wert war, aufrecht zu erhalten. Durch den Zusammenschluss mit der Stadt Halle 1990 erlangte es dann eine größere finanzielle Sicherheit, so dass weitere Investitionen getätigt werden konnten. Und während neue Geschäfte aus dem Boden sprießen, scheint Halle-Neustadt seine einstige Bestimmung verloren zu haben.
Während die Zahl der leerstehenden Wohnungen 2011 auf 5.830 stieg, schwebt Halle-Neustadt heute zwischen Anwesenheit und Abwesenheit. Vier der fünf Scheibenhäuser, das einstige Wahrzeichen der Stadt, sind seit Anfang der 1990er betroffen. Während ihr Bienenstock zerbrach, fingen sie langsam an die Überreste dessen, was einst die ideale kommunistischen Stadt war, in gigantischen Waben zu konservieren.

Anna Domnick wurde 1983 in Bielefeld geboren und studiert seit 2007 Fotografie und Medien an der FH Bielefeld. Die Arbeit »Honeycombs« entstand 2012 im Seminar von Wiebke Leister.